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Was macht eine Radreise aus? (Tag 34)

Die Nacht war, außer das Geschrei der Möwen, still. Es regnet. Der Himmel ist grau über grau. Wir sind mehr als froh in unserem kleinen Warteraum am Fähranleger geschlafen zu haben. Als wir alle Sachen um 6:00 Uhr zusammenpacken und die Drahtesel satteln, kommt bereits das erste Auto, welches auf die Fähre um 6:45 Uhr wartet. Kurz nach halb sind wir fertig und stellen Emil und Elias Richtung Auffahrt. Es regnet weiterhin. Die Fähre fährt pünktlich ein und ein Auto fährt herunter. Alle anderen Autos stehen mit der Schnauze in die andere Richtung, denn unser Halt ist nur eine kleine Zwischenstation. Das wartende Auto hat somit jedoch großes Glück, denn ein Platz wir d frei und es die einzige Möglichkeit noch auf die Fähre zu gelangen. Da es weiterhin regnet, setzen wir uns schnell in den Passagier-Salon der Fähre und machen die gesamte Überfahrt einfach einmal nichts.

Wir beobachten auf den Monitoren, wie sich die Fähre langsam bewegt und schauen sehnsüchtig in den grauen Himmel, mit der Hoffnung doch irgendwo einen blauen Fleck zu entdecken. Leider vergebens… Als wir in Ørnes ankommen, regnet es noch immer und wir ziehen unser komplettes Outfit an Regenbekleidung an. Das wird ja was! Die ersten 20 km fahren wir bei Nieselregen erneut durch die wunderschöne Natur Norwegens, die wir leider nur zur Hälfte sehen. Unsere Magen knurren und, da ein kleiner Rastplatz mit Tischen und Bänken kommt, nehmen wir die Gelegenheit gerne entgegen.

Zum Frühstück soll es mit den restlichen Eiern nochmal Pfannkuchen geben. Da wir keine Milch haben, möchten wir einen Blaubeer-Joghurt-Drink als Ersatz nutzen. Kurz bevor wir jedoch anfangen, kommt eine nette Dame aus einem VW Bus: „Hi, ihr könnt in unserem Auto essen!“. Als wir berichten, dass es Pfannkuchen geben soll, sagt sie weiterhin: „Wir haben eine Herdplatte im Auto.“ Schnell ist der kleine Transporter umgebaut und wir sitzen zu viert im trockenen, warmen Auto. Das Experiment der Blaubeerpfannkuchen ist geglückt und so können wir unsere Gastgeber*innen Volker und Mechthild auf Pfannkuchen einladen. Wir bekommen von den beiden zudem jeweils zwei heiße Kaffee und ein Brot mit Honig. In diesem Moment geht es uns erneut unbeschreiblich gut. Was ein Glück wir doch haben. Nach gut 1,5 h essen und quatschen müssen wir jedoch langsam zusammenräumen. Beim Abspülen lernen wir das nächste deutsche Paar kennen. „Hochschule Emden/Leer arbeitet da nicht Carsten?“ hören wir neben uns. Tatsächlich ist schnell aufgeklärt, dass wir einen gemeinsamen Bekannten haben. Wir machen ein Foto für diesen, erzählen über unsere Radreise und Ostfriesland. In diesem Moment regnet es sogar kurze Zeit nicht. Es gesellt sich ein Paar aus Finnland hinzu. Als diese erfahren, dass unser nächstes Land Finnland ist, bekommen wir allerhand Tipps, so wird uns beispielsweise ein spezielles Anti-Mückenspray empfohlen. Erneut fängt es jedoch an zu regnen und wir entscheiden: Langsam wird es Zeit. Wir bringen den Müll weg und verquatschen uns ein viertes Mal mit Motorradfahrern aus Spanien. Diese reisen zum Nordkap und wieder zurück. Als wir Emil und Elias schließlich besteigen, lernen wir erneut eine Frau aus Deutschland kennen. Nach über 2 h kann die Fahrt weitergehen und wir sind bereits wieder nass geregnet. Aber, wir sehen uns an und stellen überzeugt fest: Das macht eine Radreise aus! Die Begegnungen mit den Menschen, egal in und aus welchem Land, die Hilfe, der Respekt und die Freundlichkeit untereinander ist einfach überwältigend. Ist es nicht einfach unglaublich einfach so über Grenzen hinweg reisen dürfen, überall ohne Geld zu tauschen mit der Kreditkarte zahlen und sich, zur Not mit einem Lächeln und Händen sowie Füßen, verständigen zu können? Gleichzeitig fragen wir uns, warum wir diesen Umgang nicht immer in unserem Alltag leben und erleben. Ganz fest nehmen wir uns vor auch zuhause mehr Menschen offen anzusprechen, ihnen zu begegnen und einfach zuzuhören oder sie einzuladen. Während die Gedanken kreisen, wird der Regen immer stärker und nicht nur das, auch die Anstiege werden immer heftiger.

An einem nicht enden wollenden Anstieg bemerken wir zwei Radreisende mit einem Anhänger vor uns. Gemeinsam quälen wir uns den Anstieg mit mehreren Tunneln – bis zu 3 km Länge - hinauf und rasen hinunter. Bei der zweiten Abfahrt lernen wir die doch drei Radreisenden näher kennen. Was wir in diesem Moment noch nicht wissen, wir werden den gesamten Tag noch zusammen verbringen. Jimmy, Audrey und Lena sind in Frankreich gestartet und über die Niederlande sowie Deutschland gefahren. Wir haben echt Respekt vor deren Tour mit Kind. Durch das Zusatzgepäck und Lena im Anhänger kommt allein Jimmy auf circa 50 kg. Audrey trägt mitunter das Essen für die drei und ist somit zeitweise nicht viel weniger beladen. Wir beide sind bei 35 kg pro Person. Wahnsinn! Wir entscheiden uns eine gemeinsame kleine Mittagspause zu machen. Da leider keine überdachten Bänke und Tische auf dem nächsten Rastplatz vorhanden sind, entscheiden wir uns für ein Bushäuschen. So können wir dem Regen für ein paar Minuten entfliehen. Bei uns allen gibt es Brot und für Lena werden die Reste des Vortags warm gemacht. Wir tauschen allerhand Erfahrungen sowie Tipps und Tricks rund ums Radreisen aus. So zeigen wir uns beispielsweise gegenseitig die Utensilien zum Waschen und wie wir unser Essen verstauen. Zudem reden wir über unsere letzten Schlafplätze und die Suche nach diesen. Es tut gut sich ausführlich auszutauschen und so fahren wir auch die nächsten Kilometer gemeinsam durch den Regen und über einige Hügel.Durch die netten Gespräche sind die Anstiege schnell geschafft und die Bezirksgrenze zu Bodø erreicht. Kurze Zeit später erreichen wir den berühmten gezeitenstrudel von Saltstromen.

Zusammen kommen wir klatsch nass und erschöpft auf dem Campingplatz an. Die Dame der Rezeption empfängt uns so freundlich und mitfühlend, dass wir für die Nacht neben der Zeltwiese kostenfrei ein kleines Grillhaus angeboten bekommen. Wir verschwinden jeweils für bestimmt eine Stunde in den Familienbädern und genießen eine heiße Dusche. Dabei nutzen wir beide die Gelegenheit unsere gesamte Kleidung der Vortage zu waschen und diese anschließend in einen Trockner zu laden. Was für ein Luxus! Erst auf einer Radreise haben wir schätzen gelernt, wie toll es ist im Alltag zu jeder Zeit trockene Anziehsachen tragen zu können. Es ist jeden Morgen beziehungsweise Abend eine unglaubliche Freude zu entdecken, dass die Anziehsachen getrocknet sind. Dies ist jedoch nicht immer der Fall. In nasse Unterhosen, Socken, Schuhe etc. ist eine kleine Qual, aber es gehört zu einer Radreise dazu. Nach der großen Hygieneaktion wird groß aufgetischt. Wir kochen gemeinsam Nudeln mit Champignons, Brokkoli und Creme Fraiche sowie Tomate-Mozzarella. Dazu gibt es jeweils ein Bier und als Nachtisch Chips und Studierendenfutter. Als wir fertig sind, ist Lena bereits auf dem Schoß ihres Vaters eingeschlafen und auch wir werden müde. Die Zeltwiese und auch der Rasen um die Hütte hat sich von einem kleinen Sumpf in eine ausgedehnte Seenlandschaft verwandelt. Gegen 0:00 Uhr ist unser Zelt unter einem kleinen Vordach aufgebaut, denn es regnet weiterhin wie aus Eimern. Erschöpft und zugleich glücklich fallen wir ins Bett. Obwohl wir es noch versuchen, den Blogeintrag bekommen wir nichtmehr fertig. So klappen wir den Laptop und die Augen zu. (Nord-)Europa ist großartig!



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