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Was ist eigentlich mit Elias? (Tag 61)

Kälte und Feuchtigkeit. Was gibt es schöneres, als trotz Sonnenschein und ohne einen Tropfen Regen in einem klammen und durchnässten Zelt aufzuwachen? Richtig! Ganz, ganz viel. Doch ein Tag beginnt, wie ein Tag nun einmal beginnt. Auf der E63 ist bereits der Arbeitsverkehr unterwegs. Die Nacht war eigentlich nicht schlecht, aber eben durchdringend nasskalt.

Beim Blick auf die Route würden Emil und Elias sowie jeder einzelne Muskel empört aufschreien. Der Grund hierfür wäre nicht etwa die Weglänge oder die zahlreichen kleinen Hügel. Nein, es ist der Fahrbelag – loser Untergrund. Übersetzt bedeutet dies in etwa „Sand-/ Schotterpiste, die un- und befestigt durch ein Mückenparadies führt“. Kurzum ein Überraschungspaket, das bisweilen 5 km zu einer einstündigen Erlebnistour machen kann. Wer anhält oder bergauf zu langsam fährt, riskiert Blutzoll zu zahlen. Landschaftlich erwarten uns einmalige Nadelwälder, die hin und wieder von idyllischen Seen und kleinen landwirtschaftlichen Flächen durchzogen werden. Im Grunde ändert sich also nichts.

„Ich weiß nicht, wie es in 10 km ist, aber hier war der offizielle „Radweg“ die letzten 5 km…“, beginnt Michi. „Also dann lieber… Bundesstraße?“, fragt Kyra zögerlich. „Wenn der Seitenstreifen wieder so klein ist… bei Berufsverkehr?“, gibt Michi zu bedenken. „Ich weiß es doch auch nicht! Der Sand ist auf jeden Fall auf Dauer…“, sagt Kyra und so geht es noch ein wenig hin und her. Wir planen um! Bundesstraße und ein deutlich geringerer Anteil an „losem Untergrund“. Es geht zurück zur Hauptverkehrsader der Region – E63. Ein großes Schild weist die nächste Tankstelle in 34 km, den nächsten Supermarkt in 27 km links 4 km und dann 200 m geradeaus aus. Ein finnischer Abschleppdienst rollt auf der Sandpiste an uns vorbei. An seinem Haken hängt ein LKW. „King of the road“ steht in Zierschrift auf dessen Front. „Das war er mal.“, kommentiert Kyra die Szenerie. Knirschend schleift die Frontschürze über die Steine zur Bundesstraße. Auch wir machen uns bereit. Warnweste an, Beleuchtung an, Helmrücklicht an und los geht’s in eine Lücke des Verkehrs.

Nach 30 km voller Konzentration auf dem kleinen Seitenstreifen und im teils dichten und sehr nahen Verkehr liegt der Anstieg des Tages bereits hinter uns. Zum Glück hält das Wetter, lediglich der Gegenwind macht uns im Sonne-Wolkenmix das Leben schwer. Langsam lässt die Konzentration nach und wir machen besser eine Pause. Ein kleiner Rastplatz mit Bänken ist perfekt! Es gibt zahlreiche Leckereien, belegte Brote, Melone, Crème Brûlée und Kaffee, um die Gemütslage zu verbessern. Das klappt auch ganz gut.

Die finnische Luftwaffe vollzieht hoch über uns in den Wolken Übungen. Gesättigt und mit besserer Laune biegen wir auf den asphaltierten Radweg ein. Schulkinder grüßen uns und sehen Emil und Elias mit großen Augen an. Insbesondere die Taschen des vorderen Gepäckträgers scheinen spannend zu sein. Auf einmal donnert es erneut über uns. Die Jets durchbrechen die Schallmauer und vollführen wahre Kunststücke. So beeindruckend das Spektakel aus engen Kurven und ausgestoßenen Täuschkörpern ist, so sehr macht dies die aktuelle Situation präsent. Eine alte Frau öffnet nach andauernden dichten Überflügen der Jets die Tür und blickt kurz in den blaugrauen Himmel. Sie verschwindet sogleich wieder hinter der Haustür. Die E63 verläuft gerade und in gleichmäßiger Steigung links von uns. Wir fahren erneut auf „losem Untergrund“ auf und ab und links und rechts einer Bahnlinie rechtseitig der E63. Die kurzen und teils steilen Abfahrten auf Schotter und Sand verlangen durch die Schlaglöcher, Furchen und losem Sand volle Konzentration. „Bremsen!“, ruft Michi nach hinten. Doch er selbst schafft es kaum noch. Kein Sand, kein Schotter… am ehesten trifft es Geröll. Grobe Steine, die kleinsten faustgroß, die größten zwischen Fuß- und Handballgröße, liegen vor einer Linkskurve am Ende einer Abfahrt. Unter den Bahnschienen durch bilden diese den Untergrund für den Anstieg der anderen Seite. „Irgendwie fährt es sich schwammig. Ist mein Hinterrad…?“ „Ja, du hast eine Acht.“ „Das darf doch nicht! So eine…“, flucht Michi und betrachtet das Rad vom Sattel aus. Ja, es eiert leicht. „Ich schau mir das heute Abend genauer an.“ Wir fahren weiter. Die Stimmung ist angespannt. Erstmal die letzten Kilometer zum Shelter. Je näher wir Siilinjärvi kommen, desto besser wird der Radweg.

Noch schnell etwas einkaufen. Morgen sind wir ja schließlich bereits 2 Monate auf dem Rad unterwegs. Darum wollen wir eine kleine „Torte“ zaubern. Doch die letzten km durch eine Baustelle, vorbei ein einem Schwertransport und auf dem Radweg ziehen sich. So erfinden wir in der Not das „Lidl-Lied“ in unterschiedlichsten Varianten. „Das ist das Lidl-Lied, das Lidl-Lied, das Lidl-Lied. Wir singen das Liedl-Lied…“ oder „I sing a Liadl und fahr zum Lidl. Fahrst du zum Lidl? Dann sing ma a Liadl und fahrn zammat zum Lidl.“ Endlich… Alle Zutaten und das Abendessen werden verstaut und ab zum Laavu, das uns von Antti empfohlen wurde.

Dort angekommen erwarten uns zwei junge Finnen mit getunten Autos und lauter Musik. Auf die Frage, ob sie Englisch sprechen, bekommen wir die Antwort: „Yes.“ „No!“ Wir fragen, ob wir bleiben können und bekommen ein kurzes Kopfnicken mit „You can stay.“ Die restlichen anderthalb Stunden schweigen wir uns an. Wir bereiten unser Abendessen und fragen, ob sie etwas abhaben wollen. „No.“ Eine Familie kommt und springt kurz in den idyllischen See. Die jungen Männer holen Fleisch und Käse aus dem Kofferraum und braten es über dem Feuer. Man lächelt sich kurz an.

Dann fahren auch sie ohne ein Wort. Irgendwie sind wir verunsichert. Haben wir etwas falsch gemacht? Ist es normal? „Lass uns einfach das Innenzelt aufbauen und morgen sehen wir weiter, was wir mit Elias machen.“ Nach einer Weile kommt ein weiteres Auto. Antii steigt mit einem breiten Grinsen aus. Er hat Pfannkuchen mit Moltebeeren-Marmelade und Schlagsahne dabei. „For you guys!“ Was für eine Überraschung! Freude überkommt uns und die Stimmung dreht sich um 180°. Wir reden und lachen miteinander. Es ist fast so, als wäre ein alter Bekannter zufällig vorbeigekommen. Dann verabreden wir uns noch auf eine Dusche am nächsten Morgen. So nett! Nach diesem Tag voller Anspannungen fallen wir schlussendlich doch glücklich ins Bett und schlafen ein. Moment… Was war eigentlich mit Elias?

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