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Wahre Gastfreundschaft (Tag 62)

Die Nacht war ruhig und wesentlich wärmer als die Letzte, unser Laavu hat viel Wärme gespendet. Lediglich am Abend kamen noch drei Gäste vorbei. Ein Pärchen und eine Person mit Hund haben sich dem Laavu genähert, bemerkten uns und sind wieder schnell sowie leise verschwunden. Nun ist es 7:00 Uhr und Zeit zum Aufstehen. Heute vor genau zwei Monaten haben wir Emden voller Ungewissheit verlassen. Seitdem ist so viel passiert. Wir haben 3 Länder bereist und befinden uns aktuell im vierten Land, in Finnland. Wir waren in Hauptstädten und kleinen Städten, in Wäldern, in Seen und Meeren. Wir sind viele große Berge und kleine Hügel gefahren, sind Tunnel und Brücken gefahren. Wir waren am Nordkap. Was wird noch alles passieren? Was liegt noch vor uns? Nun heißt es erstmal anstoßen bzw. ein Jubiläumsessen essen. Es gibt „Tortenfrühstück“.

Seit unserer ersten Radreise haben wir das Ritual, dass es zu besonderen Momenten Torte oder Kuchen zum Frühstück gibt. Heute ist definitiv ein besonderer Tag und so bereitet Kyra den gekauften Kuchenboden mit Marzipan, Vanillesahne, Himbeeren und Heidelbeeren vor. Die Vanillesahne war leider ein Fehlkauf, eigentlich sollte es Vanillecreme geben, aber Kyras finnisch ist leider noch nicht wirklich besser geworden. Auch nach längeren Versuchen die Sahne mit der Gabel aufzuschlagen, bleibt diese flüssig, vielleicht ein bisschen fluffig. Michi guckt sich währenddessen das Hinterrad von Elias an. „So ein Mist!“ stöhnt er „die Felge ist gerissen!“. Shit! Das ist gar nicht gut. Ein Achter, wie gestern zunächst gedacht, wäre noch irgendwie in Ordnung gewesen, aber ein Riss in der Felge…

Nun erstmal Kuchen. Michi fällt es schwer Elias kurz aus seinem Kopf zu streichen und sich ganz auf unser Jubiläum zu konzentrieren, aber das kann man ihm gerade auch nicht übelnehmen. Ein Riss kann schnell zu einem Bruch werden und das wollen wir wirklich nicht erleben. Es ist somit klar, dass eine neue Felge her muss, aber woher? Als der Kuchen gegessen ist und Antti uns via Handy einen Fahrradladentipp für Kuopio gegeben hat, ruft Michi bei der Versicherung an. Sofort ist klar, diese den Schaden übernehmen. Puh! Nun heißt es nur noch hoffe, dass in Kuopio eine entsprechende Felge vorhanden ist und wir heile dort ankommen. Das Telefonat dauert noch ein paar Minuten länger, da die Versicherung noch ein paar Informationen benötigt. Auch der Mann am anderen Hörer ist von unserer Tour sichtlich begeistert und hört dies nicht alle Tage. Er sucht noch freundlich nach Möglichkeiten, wie wir mit dem Rad zum Radladen kommen können. „Ein Zug fährt um 12:30 Uhr aus… Si… Siili… ja dort wo sie jetzt sind. Nach Kuo, Kuopio.“, beginnt er und wir beide lachen. „Ja die Ortsnamen sind hier etwas schwierig.“ Ergänzt Michi lachend. Aber bei dem netten Mann ruft die Arbeit und bei uns die Dusche bei Antti. Wir räumen alles auf und schwingen uns etwas vorsichtig auf Emil und Elias. Bis zu Antti sind es nur zwei Kilometer. Das Haus ist schnell erreicht und er begrüßt uns freudig. Sein Sohn hat heute nach den Sommerferien seinen ersten Schultag und seine Frau ist unterwegs. Er zeigt uns die Dusche und bringt drei Geschenke: Schokolade und für jeden eine Kette.

Die Ketten hat er selbst gemacht. Neben seinem Hauptberuf ist er als Schmid tätig und fertigt kleine Kunstwerke an. Wahnsinn! Was für ein tolles Andenken an unseren Aufenthalt in Finnland und an Antti sowie seine Familie. Leider können wir, wie gewohnt, nur Tee überreichen. Während wir duschen gehen, kümmert sich Antti um Elias. Er ruft bei verschiedenen Fahrradgeschäften in Kuopio an und macht die benötigte Felge ausfindig. Es gibt genau einen Laden in ganz Kuopio, der eine passende 26“-Felge auf Lager hat. Was für ein Glück! Nun bleibt die letzte Sorge bestehen, dass wir dort ohne vollständigen Felgenbruch ankommen. Nach der Dusche dürfen wir noch unsere Wäsche in die Waschmaschine sowie den Trockner stecken. Luxus! Wir sind von Anttis Gastfreundschaft mehr als begeistert. Trotz seines Jobs nimmt er sich viel Zeit für uns. Wir kennen uns kaum und er ermöglicht uns so viel. Dann kommt sein Sohn nach Hause. Er ist ein wahrer Komiker und dabei sehr nett und spricht insbesondere für sein Alter in unseren Augen sehr gut Englisch. Er zeigt uns seinen E-Scooter und schon kommt die Mutter, Henna, ebenfalls nach Hause. Die beiden helfen der Hochschwangeren mit den Einkäufen. „Can we…?“, beginnt Kyra fragend. Antti winkt ab. „You sit there and relax!“ Dann bereitet er uns Kaffee. Henna ist Violinistin und ebenfalls sehr, sehr nett. Wir trinken unseren Kaffee und essen das Brot, doch leider wird es langsam Zeit weiterzuziehen… Der Trockner ist fertig. Wir packen unsere frische Wäsche ein und füllen noch schnell die Wasserflaschen auf. Bei der Verabschiedung laden wir Antis Familie nach Emden ein und versprechen ein kleines Paket zu senden, sobald wir wieder zuhause sind. Am liebsten würden wir noch eine ganze Weile hier bleiben, aber der Fahrradladen ruft. Wir müssen los. Michi schwingt sich vorsichtig auf Elias und Kyra fährt auf Emil hinterher. Nur ungefähr 30 Kilometer sind es bis Kuopio, jedoch zieht die Sorge um einen kompletten Felgenbruch die Strecke seeeehr in die Länge.

Bei jedem Schlagloch, jedem kleinen Hügel, jedem Riss im Straßenbelag haben wir Angst, dass es passiert. Doch… Es passiert zum Glück nichts! Wir kommen auf mal besseren und mal schlechteren Fahrradwegen Kuopio immer weiter entgegen. Kurz vor der Stadt frischt der Gegenwind an einem See noch einmal richtig auf, doch wir haben es bald geschafft. Als wir in Kuopio ankommen fahren wir auf direktem Weg zum Fahrradladen. Hier angekommen wird Elias entpackt, denn er muss über Nacht dortbleiben. Es ist bereits kurz nach 16:00 Uhr und der Laden schließt um 17:00 Uhr. Elias soll am nächsten Vormittag wieder fit sein. Michi hängt sich die großen Hinterradtaschen um und Emil bekommt den Rack Pack sowie die Low Rider Taschen von Elias. Kyra schiebt Emil und trägt die Lenkertasche. Irgendwie müssen wir so nun zum Hotel kommen. Unter einigen fragwürdigen Blicken gehen wir zum Glück nur 200 m und sind da.

Das Nächstliegende Hotel ist von der Preiskategorie für uns genau passend, wir checken ein und verschwinden auf dem Zimmer. Dort wird erstmal das Badezimmer und die Ruhe genossen. Wenn man so viele Tage draußen in der „Öffentlichkeit“ ist, weiß man die Privatsphäre sehr zu schätzen. Nun ist wieder Arbeitsteilung angesagt: Michi schreibt Blog und Kyra geht zum nächsten Supermarkt etwas zum Abendessen besorgen. Dort gibt es frisches Sushi und somit ist die Auswahl schnell festgelegt. Neben Sushi kauft Kyra noch einen Salat und zwei kühle Getränke sowie Chips zum Nachtisch. Alles wird anschließend auf dem Bett des Hotelzimmers bei einer Dokumentation verspeist. „Ich habe gerade ganz vergessen, dass wir irgendwo mit unseren Drahteseln in einem Hotel in Finnland sitzen“ sagt Kyra irgendwann. „Ich auch!“ erwidert Michi. Wir lachen kurz und freuen uns, dass das Abenteuer noch nicht vorbei ist. Morgen geht es hoffentlich mit neuer Felge weiter in Richtung Süden. Nächstes Ziel: Helsinki in 5 Tagen!

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