So viele Tiere (Tag 75)
Als wir gegen kurz vor 8:00 Uhr das Zelt verlassen, sieht es fast so aus, als würde der gesamte Campingplatz gemeinsam erwachen. Aus den Campern und Hütten kommen fast gleichzeitig die Moto-Cross-begeisterten Jugendlichen und Kinder. Der Grund ist ein junger Mann, der mit einer tragbaren Box und lauter Musik von Schlafplatz zu Schlafplatz joggt und alle für den Morgensport weckt. Der restliche Campingplatz erfährt somit einen gratis Weckruf am Morgen. Erst einmal Frühstück denken wir uns und wollen gerade die Frühstücksflocken auspacken, als Michi die Milch probiert. „Üähhh! Ich glaube… die ist schlecht.“, sagt er mit einem von Ekel verzerrten Gesicht. Also nichts mit Frühstück.

Wir bauen das Zelt ab und fahren los. Schnell noch zum Supermarkt Milch kaufen und dann los. Wir fahren etwa 5 km neben einen kleinen Flugplatz und lassen uns auf einer kleinen Abzweigung nieder. Es gibt Frühstücksflocken mit Milch, zwei Teilchen und jede Menge Sonne. Dazu eine Eisschokolade und einen Eiskaffee. Gestärkt geht es gen Süden. Der Gegenwind vermiest uns ein wenig den Vormittag. Er ist nicht allzu stark und doch spürt man den unsichtbaren Gegner beim Blick auf den Durchschnitt. Auf den Straßen sind wir nahezu allein. Es ist einfach zu warm. Gepaart mit dem Gegenwind brauchen wir eine Pause. In Vabalninkas kaufen wir uns kalte Getränke und ein Wassereis. Puhhh! Für den Moment im Schatten ist es herrlich. Mit dem Wind fast kühl. Dann geht es weiter. Auf einmal ist ein Schattenschlag über uns, wieder und wieder. Ein Windrad ist nicht in Sich. Wir beide Blicken nach oben. Etwa 100, vielleicht sogar mehr Störche versammeln sich und fliegen in Richtung Süden. Begeistert beobachten wir das Schauspiel vom Fahrrad aus.
In der Gruppe nutzen sie die Thermik und schrauben sich hoch empor in die Lüfte über den Feldern und Dörfern. Von diesen steigen weitere Störche auf, um sich mit dem Schwarm zu vereinen. Es sieht fast so aus, als würde dieser von Dorf zu Dorf ziehen und alle aufrufen, mitzufliegen. Einfach toll! Wir sind so abgelenkt, dass wir beinahe übersehen, dass Michi einen blinden Passagier auf der Schulter hat. Eine Heuschrecke lässt sich ein paar km chauffieren.

Dann als wir ein gutes Foto mit der Kamera machen wollen, verschwindet sie in Richtung eines der Felder. In den Ortschaften halten uns zahlreiche bellende Hunde auf trapp. Doch alle sind angeleint. Teilweise strangulieren sie sich halb selbst als wir vorbeifahren. In der Ferne sehen wir die Kirche von Kupiškis. Mit seinen beiden von Kreuzen geschmückten Türmen aus Backstein überragt diese die gesamte Ortschaft.

Allerdings steht sie auch auf einem kleinen Hügel. Ja, es ist kaum zu glauben. Wir haben erneut Hügel und unsere Muskeln zeigen an, dass die letzten auch bereits eine Weile zurückliegen. Wir verlassen die Stadt über den Kreisverkehr und bekommen jede Menge Staub von einem Mähdrescher vor uns ab.

Zu allem Übel fahren wir zudem etwa 200 m in die falsche Richtung. Also umdrehen und weiter. Am Rand stehen nun vermehrt Polizeiautos, die vermutlich nach Verkehrssündern Ausschau halten, da dieser auch merklich zugenommen hat. Doch schnell sind wir wieder auf einer weniger befahrenen Straße unterwegs. Ein Mann versucht aus dem Straßengraben mit seinem Fahrrad auf die Straße zu kommen. Er scheint gut angetrunken zu sein und schafft es nicht allein. Bei der Hitze und dem wenigen Verkehr ist die Straße der bessere Ort, vor allem, da ein Dorfladen nicht weit ist. Wir halten an und helfen ihm. Er freut sich riesig. Schüttelt Michi sichtbar dankbar die Hand und klopft ihm etwas ruppig, aber freundlich auf den Helm, dann läuft er lächelnd auf Kyra zu und ruft: „Ponia! Ponia!“ Dann küsst er ihren Handrücken und wir verabschieden uns. Er schiebt in Richtung des Dorfes. Wir fahren weiter, immer weiter in den Südosten. Etwas raschelt rechts. Ein streunender Hund. Doch dieser interessiert sich mehr für eine Maus im Feld, als uns. Nur noch 25 km bis zu unserem Campingplatz. Einfach durchhalten.
Ein Auto passiert uns langsam. Der Mann hinter der Scheibe fragt uns freundlich, wohin es geht zunächst auf Litauisch und dann auf Englisch. Wir geben an, dass wir nach Vilnius fahren. Er ist begeistert und meint dennoch mit einem leicht verschmitzten Lächeln aus dem gekühlten Fahrzeug heraus, dass es doch recht warm sei für eine solche Tour. Wir stimmen zu, haben jedoch keine Wahl und verabschieden uns. Im nächsten Örtchen treffen wir uns im Supermarkt erneut. Er gibt uns noch den Tipp, dass ein Badesee in der Nähe liegt. Doch unser Eis schleckend erklären wir, dass unser Campingplatz bald schließt und wir die letzten 20 km noch rechtzeitig hinter uns bringen müssen. Wir verabschieden uns ein zweites Mal und machen uns mit neuen Kräften auf.
In Gedanken versunken radeln wir die Landstraße entlang. Bald ist es Abend und eine kühle Dusche sowie Getränke locken. Lautes Bellen reißt uns erneut aus dem konstanten Tritt. Doch diesmal… „Die sind nicht angeleint!“, schreit Kyra entsetzt, als die beiden Hunde auf die Straße und auf uns zu rennen. Wir geben Gas. Bellend versuchen die Hunde uns den Weg abzuschneiden. Michi bricht durch und hat die volle Aufmerksamkeit. Der eine Hund gibt schnell auf. Der zweite verfolgt ihn etwa 50 m. Dann dreht er ab und fokussiert Kyra. Drohend hebt sie den Fuß zum Tritt an. Der Hund duckt sich weg und verfolgt auch sie anschließend noch ein paar Meter. Puh! Adrenalin pumpt durch unsere Adern. Der ganze Körper ist alarmiert. Alles ist gut gegangen, aber der Schock sitzt dennoch tief. Die Gedanken kreisen. Was ist, wenn im nächsten Hof… wenn sie einfach beißen…?! Von nun an tragen wir Steine griffbereit im Reisegepäck. Auch der Selfiestick wird für den Moment als provisorischer Schlagstock geführt, bis wir etwas Besseres finden. Natürlich muss Emil nun auch noch sein andauerndes Problem, der Kabelkanal am Hinterrad, kundtun. Mit wachen Blicken halten wir an. Panzertape sichert verbindet den Kanal erneut mit dem Schutzblech. Weiter zum Zeltplatz. Emil und Elias werden auf dem Fußweg noch über Stufen geschoben und dann… geschafft! Ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir den Platz und können unser Zelt aufbauen. Es gibt Pfannkuchen und Michi telefoniert mit den Eltern. Der Platz ist wirklich schön und liegt an einem Flusslauf. Zahlreiche Bewohner der Kleinstadt gehen noch auf ein kurzes Bad in den Fluss. Wir entscheiden uns für die Dusche und fallen anschließend ins Bett. Was für ein Tag!