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Auf nach Lettland! (Tag 72)

Am Morgen werden wir von der Brandung der Ostsee und einem Specht geweckt. Dieser hämmert kontinuierlich auf den Baum neben unserem Zelt ein. Die restlichen Menschen auf dem kostenfreien RMK Platz scheinen nach der Feier in den Tag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit noch zu schlafen. Estland feiert jährlich am 20. August die Wiedererlangung der Unabhängigkeit von 1991. Auch der 24. Februar, der Tag der ersten Unabhängigkeit, wird als Nationalfeiertag jährlich gefeiert. Während der Platz so langsam erwacht, packen wir unsere Sachen zusammen und frühstücken noch eine Kleinigkeit.

Der VW-Bus der Begegnung von gestern Abend fährt grüßend an uns vorbei und verlässt den Platz. Ein paar Minuten später folgen wir ihm. Kurz halten wir noch einmal am Trinkwasserbrunnen und füllen unsere Flaschen auf. Zudem füllen wir weiteres Wasser in unsere mobile Waschmaschine, um die Wäsche des Vortags unterwegs waschen zu können. Der Beutel mit Wäsche und abbaubaren Waschmittel wird an Michis Fahrrad gehangen. Somit wird die Wäsche bereits während der Fahrt in einem ersten Schleudergang gewaschen. Praktisch! Wir verlassen den Platz und fahren entspannt an der Ostsee entlang, fast hätten wir den Grenzübergang nach Lettland verpasst!

Die absolut grüne Grenze fällt uns nur auf, da wir den nächstgelegenen Mülleimer zum Entsorgen unserer Reste von Abendessen und Frühstück nutzen. Die Grenze nach Lettland ist nur durch einen kleinen Grenzpfahl am rechten Straßenrand markiert, dreht man sich jedoch in Richtung Estland fällt ein Schild mit Geschwindigkeitsangaben auf. Ein Länderschild fehlt auch hier, dafür wehen zwei Länderflaggen hoch über unseren Köpfen und ein alter Grenzturm zeigt an, dass die Grenze nicht immer so grün wie heute war. 2007 sind beide Staaten dem Schengener Abkommen beigetreten.

Ein paar Meter hinter der Grenze erscheint an einer Wand eine große lettische Flagge mit der Aufschrift „Latvija“. Wir positionieren Emil und Elias sowie uns vor der Wand und machen ein Selfie. Weiter geht’s!

Die ersten Drehungen auf lettischen Boden fahren sich gut! Die guten Seitenstreifen am Straßenrand und Fahrradwege aus Estland scheinen auch hier in Lettland Bestand zu haben. Wir fahren nicht weit und schon treffen wir eine alte Bekannte der vergangenen Tage: die Hauptstraße. Bevor wir diese passieren, machen wir eine kurze Pause und trinken ein Smoothie sowie Eiskaffee von der Tankstelle. Anschließend wird Kyras Blinkelicht angestellt, die Warnwesten zurechtgerückt und auf die Straße! Weit kommen wir jedoch nicht. Hinter uns kommt mit lauter Sirene ein Polizeiauto immer näher. Wir fahren schnell auf den nicht befestigten Straßenrand, damit genug Platz ist. Dem lettischen Polizeiauto folgt eine ganze Kolonne aus estnischen LKWs, die alle jeweils ein Panzer auf sich tragen. Das Ende bildet erneut ein Polizeiauto mit Blaulicht. Wir lassen die dahinter aufgestauten Autos ebenfalls vorbeifahren und setzen unsere Fahrt schweigend fort. Es scheint noch eine Weile so, als würde der gesamte Verkehr mit einem Mal wesentlich ruhiger und rücksichtsvoller daher rollen… Wir befinden uns beide in unserer Gedankenwelt. Heute erleben wir erneut vergangene und gegenwertige Geschichte hautnah. Das berührt uns sehr. Wir fahren ein ganzes Stück an der Hauptstraße entlang und berichten uns unsere Gedanken, bis wir in Saulkrasti ankommen. Es wird dringend Zeit für eine Pause und eine Kleinigkeit zum Essen. Kyra kauft Salat, Obst und Eis. Wir verstauen alles schnell und fahren nur ein kleines Stück weiter zum nächsten Waldabschnitt. Hier breiten wir die Plane aus und genießen unser Mahl. Ein vorbeikommender Hund würde das Essen gerne mit uns genießen, er ist jedoch so gut erzogen, dass er uns nur sehnsüchtig anguckt und seinem Besitzer hinterher trottet. Dieser grinst uns nur an und wir erwidern die gute Laune. Nach der Pause geht es zurück in Richtung Hauptstraße, doch diese erreichen wir nicht… Kyra sieht von hinten noch eine Schraube fliegen und Michi hält verdutzt an: „Da ist etwas von meiner Pedale weggeflogen!“ Tatsächlich! Die Schraube an der Seite fehlt und die Pedale hat sich bereits bedrohlich gelockert. An die Leitplanke gelehnt versucht Michi seine Pedale zu retten, doch es nützt nichts. Sie kann nur noch provisorisch verschraubt werden, in Riga muss dringend ein paar Neue her. Kurz bevor wir wieder losfahren, kommt ein Paar auf Gravel Bikes an uns vorbei. Die beiden halten und erkundigen sich, ob alles in Ordnung ist. Wir bedanken uns für die Nachfrage und quatschen kurz. Die Hauptstraße ist jedoch so laut und wuselig, dass kaum Zeit und Platz für Gespräche bleibt. Die beiden fahren weiter und wir folgen kurze Zeit später. Bereits bei der nächsten Abfahrt treffen wir uns erneut. Vera kommt aus Brasilien und Carsten aus Australien. Beide leben jedoch zusammen in Schweden. Sie sind nun seit ein paar Tagen unterwegs. Ihr Weg führte sie über Stockholm nach Turku in Finnland. Von dort ging es über Helsinki und Tallinn in Richtung Riga. Auch die beiden wollen dort noch heute ankommen. Wir fahren ein kleines Stück zusammen an der Hauptstraße entlang. Wir freuen uns an Stelle drei und vier über den großartigen Windschatten, bis die beiden rechts abbiegen. Die Hauptstraße ist ihnen einfach zu laut und voll. Wir können das gut nachvollziehen, fahren jedoch aufgrund der schlechten Erfahrungen von Nebenstraßen in Finnland, an der Hauptstraße weiter. Es ist für uns bereits zu spät und das Ziel Riga vor 21:00 Uhr unerreichbar. Eine Schotterpiste oder gar Sandweg würden uns nun zu viele Kräfte ziehen. So fahren wir auf einem guten und breiten Seitenstreifen der Hauptstraße weiter folgend in Richtung Riga. Die Umgebung wird bereits städtischer und nach einigen Kilometern steht am rechten Seitenrand in großen Buchstaben der Schriftzug „RIGA“. Wir wechseln jedoch die Straßenseite und sind verärgert, dass der Fahrradweg im Nichts endet. Nun geht es über einen schmalen Streifen im Rasen, nah am Gegenverkehr, an der Hauptstraße entlang. Wir entdecken auf der anderen Seite einen Radreisenden, dem es dort genauso ergeht. Aus großer Entfernung winken wir uns belustigt über die Hauptstraße zu. Nach ungefähr einem Kilometer beginnt der Fahrradweg erneut. Kurz nachdem wir diesen passieren, bleibt Michi verdutzt stehen. Seine Pedale hängt nur noch an seinem Klicker am Schuh und nicht mehr am Fahrrad. Mist! Zum Glück ist die Pedale erneut schnell ans Fahrrad improvisiert, denn die Umgebung lädt leider nicht zum Verweilen ein. Der Vorort, durch welchen wir uns Riga nähern, ist durch sehr verfallene und alte Häuser sowie einige Betrunkene geprägt.

Der Fahrradweg führt uns zum Glück jedoch bis ins Zentrum. Bei Dunkelheut erreichen wir dieses und fallen nach einchecken nur noch erschöpft ins Bett.

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