71°10‘21“ (Tag 46)
Nach einer kurzen Nacht auf unseren Bänken wachen wir gegen 6:00 Uhr auf. Da wir kein Zelt abbauen müssen ist alles schnell verstaut. Erstaunt stellen wir fest, dass es nicht mehr geregnet hat und unsere Sachen unter dem Vordach trocken geblieben sind. Perfekt! Nun kann die letzte Etappe zum Nordkap starten. Wer hätte gedacht, dass wir bereits heute, am 26.07.2022, ankommen werden? Unser Zieldatum war grob der 28.07., nun können wir uns zwei entspannte Tage am Nordkap gönnen. Nach ein paar schnellen Broten geht es los. Unsere Vorräte sind zur Neige gegangen und da Kyras Luftmatratze die vergangenen Nächte mehrmals laut geknallt hat, weil die Nähte nach und nach aufgehen, müssen wir einen kurzen Umweg über Honningsvåg zum Nordkap fahren. Hier gibt es einen Supermarkt und ein Sportgeschäft. In einer Kurve wagen sich drei Mutige, teils nackt, teils in Unterwäsche in die eisigen Fluten. Sie schreiben vor Freude und Kälte. Wir zeigen ihnen den Daumen und sie zeigen ihn zurück. Nach ungefähr 16 km ist der Ort schnell erreicht.

Bereits von weitem sehen wir das Hurtigruten-Schiff im Hafen liegen. Wir sind erneut erstaunt, wie viele Menschen noch so hoch im Norden wohnen, leben und arbeiten. Der Wechsel der Jahreszeiten mit den langen Tagen im Sommer und langen Nächten im Winter sowie die extremen Wetterlagen müssen eine besondere Herausforderung und zeitgleich wunderschön sein. Wir werden von einem Rennradfahrer überholt, der zu den Hurtigruten fährt. Seine Reise ist vorbei und nun geht es mit dem Postschiff nach Hause. Das machen erstaunlich viele Radreisende und auch unsere Gedanken kreisen um diese Idee, aber erstmal einkaufen und zum Nordkap. Das Sportgeschäft ist schnell gefunden. Kurz stockt uns jedoch der Atem, da die beklebten Fenster zur Hälfte die Folie verloren haben und der Laden verweist aussieht. Als wir näher herantreten sehen wir jedoch die Beleuchtung. Kyra läuft sofort in die Ecke mit den Luftmatratzen und unglaublicher Weise ist genau unsere Luftmatratze vorhanden. Leider in einer größeren Größe als nötig, aber das wäre in dieser Situation auch zu viel verlangt. Der stolze Preis (etwa 175 % des deutschen Preises) lässt uns kurz Schlucken, aber wir haben keine andere Wahl. Eine günstige Matratze für viel Geld kaufen und in Deutschland erneut eine Neue zu benötigen, ist auch keine Alternative und im Endeffekt wahrscheinlich teurer. Wir kaufen die Luftmatratze und freuen uns, dass wir die Mehrwertsteuer bei Ausreise erstattet bekommen. Für die nächsten 3 Tage am Nordkap benötigen wir einiges zum Essen, insbesondere, da Kyras Geburtstag in zwei Tagen ansteht. Als Ankunftsessen wollen wir auf unserem Campingkocher heute Abend Burger machen. Morgen soll es der Einfachheit wegen nochmal Nudeln mit Pesto geben. An Kyras Geburtstag zum Frühstück Pfannkuchen. Zudem brauchen wir Brot, Aufschnitt und Aufstrich fürs Frühstück und eventuell Abendessen, etwas Süßes und Besonderes für den Geburtstag, noch etwas zum Anstoßen und für zwischendurch zu trinken… Als Michi mit dem Einkauf aus dem Supermarkt kommt schätzen wir die Tasche auf circa 8 kg. Wir bekommen glücklicherweise alles verstaut und fahren vollgeladen zu unseren letzten Anstiegen Richtung Norden. Bereits aus der Ferne sehen wir die Straße sich den Berg hochhangeln. Auch noch nach zahlreichen Höhenmetern erschreckt uns dieser Anblick, aber wir haben so viele Höhenmeter gemeistert, dass wir diese auch noch schaffen! Bevor es richtig hoch geht, halten wir jedoch nochmal an. In der Ferne hören wir ein Instrument. Ein Mann steht in ungefähr 200 m Entfernung mit Blick auf einen See und die dahinter liegenden Berge und spielt Saxofon. Die Sonne bricht zwischen den Wolken hervor und die Töne schallen über das Tal hinweg. Es ist einfach wunderschön. Wir scheinen den Klang als Einzige entdeckt zu haben, denn alle Autos, Wohnmobile und Motorräder bahnen ihren Weg hinauf. Der Mann scheint diesen Moment komplett für sich zu genießen. Er spielt das Stück zu Ende und wir klatschen ihm aus 200 m Entfernung entgegen. Er bedankt sich mit Winken und auch wir winken zurück. Nun steht der Anstieg bevor.
Routiniert schalten wir runter und fahren den Berg empor. Einzelne Autos rauschen an uns vorbei und zeigen wohlwollend einen Daumen. Unsere Vorfreude steigt. Nach dem Anstieg erfolgt eine kurze Abfahrt und erneut müssen wir anhaltende 10-12 % Steigung überwältigen, doch die Natur und Vorfreude ziehen uns empor. Beim zweiten langen Anstieg mit teilweise 15 % überholen wir einen Mann mit seiner Tochter. Die Familie ist mit dem Wohnmobil da, doch als sie so viele Fahrradfahrende gesehen haben, wollten sie das auch ausprobieren. Respekt! Mit Pausen und Schieben kommen auch sie dem Nordkap immer weiter entgegen. Und da ist sie! Die Nordkaphalle ist aus der Ferne sichtbar. Vorfreude und Stolz macht sich breit. Nur noch ein kleiner Anstieg, nein es geht erneut runter und hoch. Nun der letzte Anstieg. Nein, es geht nochmal runter und hoch. Nun aber der letzte Anstieg und wir sind da! Wir können es einfach nicht fassen hier zu sein. Als wir an den wartenden Autos und Wohnmobilen vorbeirollen, sehen wir Patrick (Vater der Familie, die wir am Sykelhuset kennengelernt haben) an den Toiletten und winkt uns zu: „Ihr habt es geschafft!“. Wir bejahen freudestrahlend. Weiter geht es zum Wahrzeichen des Nordkaps: Dem Globus. Selbstverständlich sind wir nicht die einzigen Touristen, die sich mit dem Globus ablichten lassen wollen. Nach etwa 10 Minuten sind wir dran. Emil und Elias schleppen sich erschöpft und doch stolze mithilfe unserer und fremder Hände die Stufen zum Globus hinauf. Die Mutter einer netten, nach uns wartende Familie schießt traumhafte Fotos von uns, als wir uns erschöpft in die Arme fallen.

Wir sind wirklich hier! Nach 4.154,48 km, insgesamt erklommenen 37.209 m Anstieg und 269 h und 11 min reiner Fahrtzeit stehen wir unter vereinzelten Wolken an diesem großen Zwischenziel bei 71°10‘21“. Das Nordkap! Dann heben wir die Esel von der dem Podest der stilisierten Weltkugel. Auf der Suche nach der „Zeltwiese“ kommen Anna und Maya nochmal auf uns zu. Sie erzählen uns von Geocaching-Punkten am Nordkap. Wir reden noch ein bisschen und dann ist der Zeitpunkt gekommen und die beiden müssen zurück, denn für sie geht es mit dem Wohnmobil weiter. Wir schieben unsere Drahtesel zu einer geeigneten Stelle und bauen alles routiniert auf. Allerdings spannen wir das Zelt komplett ab, da es bereits immer wieder windet. Eine kleine Steinmauer um das Zelt komplettiert den Windschutz. Vor dem Zelt bauen wir uns noch eine kleine Steinsitzecke samt Tisch. Dann werden zur Feier des Tages Burger gebraten.
Als diese verspeist sind bringen wir das Maskottchen des Familienservice der Hochschule Emden/Leer zum Globus. Auf dem Rückweg treffen wir 3 erschöpfte Franzosen mit ihren Rädern. Jeremy, Bastian und Thibaut müssen erst einmal ankommen und Jeremy lädt uns direkt auf ein Bier in der Bar ein. Wir sagen zu. Zunächst darf Frido noch die Chance nutzen und sich in einer Lücke zwischen den zahlreichen Drohnen in die Lüfte erheben.
Anschließend gesellen wir uns zu den Dreien und quatschen über unsere Touren, unsere jeweilige Herkunft und alles Mögliche. Nach kurzer Zeit gesellt sich noch eine Niederländerin, Eveline, dazu. Die drei kennen Sie bereits. Sie wärmt sich mit einer heißen Schokolade auf. Wir reden alle noch ein wenig und plötzlich ist es 23:00 Uhr und wir machen uns auf zum Zeltplatz. Dort sprechen wir nochmal mit Schweizer Motorradfahrern, die zuvor angekommen sind und fallen erschöpft und glücklich zugleich ins Bett.